Mittwoch, 4. Oktober 2023: Abschied von den USA!
Info:
Was unter dem Namen Niagara Falls bekannt ist, teilt sich auf in die American Falls (320 m breit, 20 – 30 m hoch), die schmäleren Bridal Veil Falls und die Horseshoe Falls (790 m breit, 57 m hoch). Die ersten beiden liegen komplett auf amerikanischem Staatsgebiet, während die Mitte der Horseshoe Falls die Staatsgrenze zwischen USA und Kanada bildet.
Vier Millionen Menschen besuchen jedes Jahr die Fälle. Mit der Maid of the Mist kann man in das Hufeisen (horseshoe) hineinfahren – Gratisdusche inbegriffen!
Meine Meinung:
Ein ganz besonderes Erlebnis. Ich war zum dritten Mal dort – und wieder überwältigt!
Tagebuch:
Da sich meine neunzig Tage in den USA langsam dem Ende zuneigten, wurde es Zeit, nach Kanada zurückzukehren. Dafür hatte ich mir die schönste Grenze ausgesucht: die Niagara Fälle!
Aus irgendeinem Grund hatte die Grenzbeamtin Zweifel, dass ich einen in Kanada gekauften Bearspray nach Kanada einführen darf, aber nach einem längeren Telefonat wurde ihr das bestätigt – ich darf. Sie war auch die Erste, die wegen Annie Ways Nummernschildern nachfragte, ob ich damit überhaupt nach Kanada einreisen dürfte. Auch das wurde ihr bestätigt – wieder nach einem längeren Telefonat.
Und so verließ ich die USA für eine lange Zeit, möglicherweise für immer.
Dachte ich.
Ich hatte extra einen Campingplatz in Kanada gebucht – mitten im Nirgendwo und, wie sich herausstellen sollte, ohne Internet -, weil man die Fälle von der kanadischen Seite besser sieht.
Da ich ein wenig mehr Hintergrundinformationen wollte, als man sie im nicht vorhandenen Internet findet, beschloss ich, eine geführte Tour zu machen, zwei Stunden inklusive Maid of the Mist und Aussichtsplattform.
Es dauerte ein wenig, bis mir klar wurde, dass ich dafür zurück in die USA müsste …
Auch der amerikanische Grenzbeamte war sehr misstrauisch, was Annie Way betraf. Er fand bei ihrem Scheibenwischer eine Nummer, die gab er in den Computer ein, dann meinte er: „You are good.“ Und ich durfte in die USA zurückkehren.
Bevor ich mich mit der Gruppe traf, ging ich in den Park und schaute mir die American Falls von der Seite an. Unglaublich! Dabei sind das die „kleinen“ Fälle, über die nur zehn Prozent der Wassermassen des Niagara River fließen, der Rest kommt über die Horseshoe Falls.
Die geführte Tour war ein wenig skurril. Ich bin jedes Mal wieder überrascht, wie erwachsene Amerikaner und Amerikanerinnen in einer Gruppe zu Kleinkindern mutieren. Da wird Yoohoo geschrien, wenn der Tour Guide das Stichwort gibt, und man fällt in eine kollektive Fröhlichkeit und beantwortet streberhaft die blödesten Fragen. Nachdem ich die einzige Nicht-Amerikanerin war, was der Tour Guide nicht müde wurde zu erwähnen (Ursula from Austria), machte ich mit, sonst hätten die Leute womöglich noch geglaubt, Europäer:innen sind keine so freundlichen Herdentiere wie Amerikaner:innen. Mir liegt daran, das Bild, das in den amerikanischen Medien von Europa vermittelt wird (Kommunist:innen und Taschendieb:innen), ein wenig zu korrigieren. Selbst wenn das heißt, Yoohoo zu brüllen, wenn der Tour Guide das will. Und er wollte das alle paar Minuten. Yoohoo.
Was er aber zwischendurch erzählte, war durchaus interessant. Yoohoo.
Bei der Maid of the Mist gibt’s jetzt Plastikregenumhänge, die man sich anschließend mitnehmen kann. Yoohoo. Früher hatten sie gelbe Regenmäntel in verschiedenen Größen, und man gab sie nach der Tour zurück. Fand ich klüger. Yoohoo.
Die Amerikanischen Fälle und die Bridal Veil Falls vom Fluss aus zu sehen, ist traumhaft.
Anders bei den Horseshoe Falls, wo man vom Wasser umgeben ist und komplett nass wird – die Plastikregendinger sind etwas ungeeignet, falls sie dafür gedacht sind, vor dem heftigen Sprühregen und dem kalten Wind zu schützen. Zum Glück war es ein heißer Tag und die Sonne schien – die Haare und die Kleidung trockneten schnell wieder. Yoohoo!
Die Niagara Fälle sind ein Produkt der letzten Eiszeit vor 10.000 Jahren. Der Niagara River kommt vom Lake Erie und fließt in den Lake Ontario. Wegen der Anordnung der Gesteinsschichten – die ganz harten oben und die weicheren unten (alles Ablagerungen aus einem früheren Meer), begann es irgendwann, an der Kante zu bröseln, und die Fälle wanderten rückwärts. Früher waren das 90 cm pro Jahr, seit etwa die Hälfte des Wassers des Niagara Rivers nicht mehr über die Fälle, sondern über diverse Kraftwerke fließt, sind es nur mehr 30 cm pro Jahr. In 50.000 Jahren werden die Fälle beim Lake Erie ankommen – und nicht mehr existieren. Yoohoo?
Unzählige Menschen haben versucht, in Fässern die Fälle zu meistern. Das kann man durchaus überleben. Wenn man Glück hat. Selbstmorde gibt es auch relativ häufig, aber das wird nicht publiziert.
Eine Geschichte fand ich berührend. Sie ereignete sich im Jahr 1963. Als Geburtstagsüberraschung für einen siebenjährigen Jungen durfte er mit seiner siebzehnjährigen Schwester mit einem Freund der Familie Boot fahren. Sie hielten sich bei Goat Island auf, der Insel, die die Horseshoe Falls von den Bridal Veil Falls trennt. Der Bootsbesitzer wusste nicht, dass es bei der Insel einige Untiefen gibt – und plötzlich war der Propeller des Motors weg. Das Boot schoss in Richtung Horseshoe Falls. Schnell zog der Mann den Geschwistern die Schwimmwesten an, für sich selbst hatte er keine Zeit. Er versuchte zu rudern, aber es nützte nichts.
Kurz darauf entdeckten die Passagiere der Maid of the Mist etwas im Wasser – ein Kind. Das Schiff drehte um, der Rettungsring wurde geworfen, verfehlte, wurde noch einmal geworfen, verfehlte wieder. Beim dritten Versuch erhaschte ihn der Junge, und man konnte ihn zum Schiff ziehen. Er bedankte sich und fragte höflich, ob er ein Glas Wasser haben könnte.
Später ging er zur Marine und wurde dann Pastor.
Seine Schwester schaffte es, sich oberhalb der Fälle bei einem Felsen im Wasser anzuhalten. Das sah ein Mann, der mit seiner Familie spazieren ging. Ohne zu zögern, sprang er ins Wasser, hielt sich ebenfalls an einem Felsen, und schrie dem Mädchen zu, sie solle auslassen. Er fing sie auf und ging mit ihr an Land.
Der Bootsbesitzer hielt sich auch an einem Felsen, rutschte aber ab. Man fand seine Leiche ein paar Tage später.
Von dem Jungen gibt es ein Foto von dem Moment, als er aus dem Wasser gezogen wird. Er lächelt dabei. Später erzählte er, dass er oben das Gefühl hatte, als würde ihn etwas an eine ganz bestimmte Stelle führen, und er wusste, dass ihm nichts passieren konnte. Es gibt tatsächlich einen „soft spot“, unter dem sich keine Felsen befinden. Das ist die einzige Stelle, wo man einen Fall überleben kann.
Wie auch immer der Junge an genau diese Stelle kam – er überlebte. Noch heute besucht er jedes Jahr die Niagara Fälle.
Ich wollte anschließend auf die kanadische Seite hinüber, denn von dort hat man den besseren Ausblick.
Warum ich nach Kanada will? Urlaub. – Was ich vorhabe? Am 25. Oktober nach Hause fliegen. – Wie lang ich insgesamt in Kanada bin? 178 Tage. – Warum? Weil ich gerade in Pension gegangen bin und denke, dass ich mir das verdient habe. – Gratulation. Waffen? Nein. – Auch zu Hause in Österreich nicht? Nein. – Warum nicht? In Österreich haben wir keine Waffen, weil wir der Meinung sind, dass das sicherer ist. – Auf Wiedersehen.
Ich war wieder in Kanada. Yoohoo!
Damit hatte ich die USA tatsächlich hinter mir gelassen. Und zahlte gleich einmal 35 kanadische Dollar plus Steuern für einen Parkplatz.
Einige Minuten später stand ich an den Horseshoe Falls. Unfassbar! Da die Sonne schien, waren auch noch Regenbogen da!
Ich schlenderte weiter in Richtung American Falls, die von dieser Seite auch viel besser zu sehen sind.
Am schönsten fand ich die Farben bei den Horseshoe Falls. Zuerst der Fluss mit seinem Dunkelgrün, und dann das Wasser, wenn es fällt. Die Intensität des Grüns ist unglaublich.
Ich stand lang dort, aß genüsslich ein Eis und schaute aufs Wasser und den Regenbogen. Die Farben des Lichts. Wieder einer der Momente, die ich nie vergessen werde.
Danke, dass du deine faszinierenden Erlebnisse und die traumhafte Natur so eindrucksvoll für deine Leser geschildert hast und ich sie mit dir teilen darf.
Ich freu mich, dass du mich gedanklich begleitest!